Navigieren im Unvorhersehbaren: Einblicke in den polnischen Arbeitsmarkt

In unserer laufenden Interviewserie, die die Teams innerhalb des HILL International Netzwerks vorstellt, richten wir nun unseren Fokus auf Polen. Wir freuen uns, mit Iwona Cekal sprechen zu dürfen, die ihre fundierten Einblicke in die Trends auf dem Arbeitsmarkt in Polen teilt.


 

Wie würden Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation und den Arbeitsmarkt in Ihrem Land beschreiben? Wenn wir in Richtung 2025 blicken, welche der Dinge, die uns heute beschäftigen, werden Ihrer Meinung nach viel mehr oder weniger präsent sein?

Iwona Cekal: Wenn wir den Markt mit einem Wort beschreiben müssten, wären "Unvorhersehbarkeit" oder "Inkonstanz" wohl am treffendsten. Auf der einen Seite hören wir weiterhin von Umstrukturierungen in großen Konzernen, die seit einiger Zeit "flachere Strukturen" schaffen; auf der anderen Seite klagen die meisten Organisationen über Probleme bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter*innen, insbesondere in hochspezialisierten Positionen. Während wir viel über Vorteile für Mitarbeiter*innen, deren Zufriedenheit und "Work-Life-Balance" sprechen, höre ich gleichzeitig oft von überlasteten Menschen. Unsere Kandidat*innen sagen, dass sie zu viel arbeiten und nicht gut mit Stress und Anforderungen umgehen können.

In den von uns durchgeführten Rekrutierungsprozessen hat sich seit einiger Zeit die letzte Phase (d.h. die Entscheidung beider Parteien) als kritisch erwiesen. Die Kunden treffen ihre Entscheidungen immer sorgfältiger und beziehen mehr Personen in den Rekrutierungsprozess ein. Wir haben einen Rekord aufgestellt, als wir Kandidat*innen für eine mittlere Führungsposition suchten, bei der die letzten beiden Kandidat*innen zehn Vorstellungsgespräche mit verschiedenen Vertreter*innen unseres Kunden hatten.

Es ist auch erwähnenswert, dass Kandidat*innen ihre Entscheidungen ebenfalls sorgfältiger treffen und zunehmend Gegenangebote ihrer aktuellen Arbeitgeber annehmen. Noch vor fünf Jahren kamen Gegenangebote in 5-10% der Fälle vor. Führungskräfte wussten, dass, wenn ein*e Mitarbeiter*in über einen Wechsel nachdachte, dies wahrscheinlich nicht nur aus finanziellen Gründen geschah und die Person höchstwahrscheinlich erneut wechseln wollte. Untersuchungen haben bestätigt, dass ein*e Mitarbeiter*in, der*die gekündigt hat, auch dann, wenn er*sie durch eine Gehaltserhöhung oder Beförderung gehalten wird, innerhalb von 6-9 Monaten das Unternehmen verlässt. Heute versuchen in praktisch jedem Rekrutierungsprozess die aktuellen Arbeitgeber*innen, die Kandidat*innen in ihrem alten Job zu halten.

Meine Kolleg*innen aus anderen Ländern berichten von ähnlichen Erfahrungen. Es scheint, dass Führungskräfte und HR-Spezialistinnen überall darüber nachdenken, wie sie das Engagement der Mitarbeiter*innen steigern können. Sie versuchen, sich gegenseitig mit neuen Vorteilen für Mitarbeiter*innen zu übertreffen, sie "rennen" mit der Inflation und klagen alle über in die Höhe schnellende Gehälter, die oft nicht mit der Effizienz einhergehen.

Was sind die Merkmale des Arbeitsmarktes in Ihrem Land?

Iwona Cekal: Laut den Daten des polnischen Statistischen Amtes sind Flexibilität und Effizienz der Arbeitskräfte die Hauptfaktoren, die polnische Unternehmer*innen betonen. Allerdings hat die COVID-19-Pandemie den Arbeitsmarkt stark verändert. Der wirtschaftliche Lockdown, Einstellungsstopps und Entlassungen waren die Hauptfaktoren, die den Markt negativ beeinflusst haben. Die beschleunigte Digitalisierung und die Einführung von Remote-Arbeit haben sicherlich zu den positiven Entwicklungen beigetragen.

In den letzten Jahren hat sich der polnische Arbeitsmarkt einer neuen Herausforderung gestellt: dem Arbeitskräftemangel. Dieses Problem wurde nur geringfügig durch den Zustrom von Arbeitsmigrant*innen und Geflüchteten aus der Ukraine gemildert. Eine weitere Herausforderung ist die hohe Inflation, die Arbeitgeber*innen unter Druck setzt, die Löhne zu erhöhen, und Arbeitnehmer*innen dazu ermutigt, nach neuen Jobs zu suchen.

Die Arbeitslosenquote bleibt mit 5,4% im Januar 2024 niedrig. Sie gehört zu den niedrigsten in Europa.

Wenn ich unsere Kompetenzen mit denen anderer benachbarter EU-Länder vergleiche – wir heben uns durch unsere kommerziellen Fähigkeiten hervor. Es gibt auch viele Pol*innen, die regionale oder internationale Rollen innehaben. Ich denke, wir kommen gut mit multikulturellen Teams zurecht.

In welchen Sektoren und Spezialgebieten sehen Sie derzeit die interessantesten Möglichkeiten in Ihrem Land?

Iwona Cekal: Bei HILL Polen arbeiten wir mit Organisationen aus verschiedenen Sektoren zusammen. Es ist jedoch erwähnenswert, dass die Mehrheit unserer Projekte in den letzten Jahren aus den folgenden Bereichen stammte: Gesundheitswesen (Pharma und Medizintechnik), Fertigung und Konsumgüter. Interessanterweise kommen immer mehr spannende Aufträge aus der Landwirtschaft. Das ist ein interessantes Gebiet.

In welchen Sektoren oder Regionen sehen Sie derzeit die größten Bedrohungen/Schwierigkeiten?

Iwona Cekal: Ich denke, dass alle Organisationen derzeit enorme Herausforderungen bei der Suche nach hochqualifizierten Spezialist*innen erleben. Zusätzlich sind die in die Höhe schnellenden Löhne, die die Inflation übersteigen, eine große Herausforderung. Personalkosten machen normalerweise einen großen Teil des Budgets aus – wie können wir die Gewinne der Organisation sicherstellen, wenn die Gehälter so unkontrolliert steigen?

Es gibt zunehmend Druck auf die Effizienz, und ich habe den Eindruck, dass immer mehr Menschen mit psychischen Problemen konfrontiert sind. Im letzten Jahr sah ich einige Untersuchungen aus Großbritannien, die einen starken Aufwärtstrend bei langfristigen Krankenständen zeigten. Dabei wurde auf psychische Probleme hingewiesen. Neuere Studien zeigen dieses Problem auch in Polen. Ich denke, Organisationen werden sich auch mit diesem Trend auseinandersetzen müssen.

Es ist auch erwähnenswert, dass die sogenannten "Silvers" (also die über 50-Jährigen) immer öfter ein Thema sind. Ich denke, dies ist ein wichtiges Thema, und Unternehmen werden sich darauf konzentrieren müssen. Derzeit wird viel darüber gesprochen, aber wie die Kandidat*innen selbst behaupten, endet es an vielen Orten nur bei Erklärungen. Es gibt natürlich Ausnahmen! Ich muss unsere jüngste Rekrutierung erwähnen – den Ersatz einer 84-jährigen Frau. Ihr Ruhestand war eine große Überraschung für ihr Team, das immer ihre Inspiration und ihren klaren Verstand betonte.

Wie reagieren Arbeitgeber*innen auf einen Mangel an Mitarbeiter*innen mit den richtigen Fähigkeiten und Qualifikationen? Was raten Sie Unternehmen, oder welche Maßnahmen ergreifen Unternehmen bereits selbst?

Iwona Cekal: In den letzten zwei Jahren haben immer mehr Arbeitgeber*innen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer qualifizierter Mitarbeiter*innen erlebt. Das Problem verschärft sich. Ich denke, alle haben mittlerweile verstanden, dass es besser ist, sich um die aktuellen Mitarbeiter*innen zu kümmern, als nach neuen zu suchen. Daher, wie bereits erwähnt, das Phänomen der Gegenangebote in fast jedem Rekrutierungsprozess.

Aber wenn uns die Situation dazu zwingt, ist es besser, auf einen professionellen Recruiter zurückzugreifen. Natürlich ist es sinnvoll, das eigene Netzwerk zu nutzen, aber wenn das nicht funktioniert – meiner Meinung nach wird eine Zusammenarbeit mit Profis eine effektivere und letztlich günstigere Lösung sein. Die internen Teams für Talentakquisition funktionieren nicht immer effizient. Und das ist kein Problem der Menschen, sondern des Prozesses – wenn ein*e Kandidat*in direkt von einem potenziellen neuen Arbeitgeber kontaktiert wird, überschätzt er*sie normalerweise seine*ihre Erwartungen. Wir als Berater*innen können reagieren, wenn überzogene Erwartungen deutlich sichtbar werden.

Wie beurteilen Sie derzeit die Mobilität von Arbeitnehmer*innen in Ihrem Land? Welche Regionen des Landes sehen Sie vor Herausforderungen?

Iwona Cekal: Die jüngere Generation ist bereit für internationale Umzüge, jedoch weniger für innerstaatliche. In Fertigungsunternehmen ist die Situation anders – insbesondere in niedrigeren Positionen beobachten wir weniger Mobilität der Kandidat*innen. Sie suchen in der Regel nach einem Job in der Nähe ihres Wohnortes.

Welche Trends charakterisieren die Arbeitsbedingungen und die Unternehmenskultur in Polen? Was wird von einem attraktiven Arbeitgeber erwartet, einschließlich der nächsten Generation von Führungskräften?

Iwona Cekal: Jeder erwartet wahrscheinlich etwas anderes von einem Arbeitgeber, aber wir können versuchen, ein paar Trends zu identifizieren. Erstens hat uns die Pandemie gezeigt, dass viele Aufgaben auch außerhalb des Unternehmens erledigt werden können. Kandidat*innen möchten die Freiheit haben, zu entscheiden, wo sie arbeiten werden. Sie erwarten hybrides Arbeiten und im Falle einiger Rollen sogar reines „Home-Office“. Unternehmen versuchen, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Die meisten unserer Kund*innen bieten ein hybrides Arbeitssystem an. Die Ausnahmen sind Fertigungsunternehmen – aus offensichtlichen Gründen.

Organisationen versuchen auch, das Engagement der Menschen zu steigern. Heutzutage wollen immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass die Aktivitäten ihres Unternehmens mit ihren Werten und Interessen übereinstimmen.

Vielen Dank für das Interview!

Kontakt: Our Team - Inspiring People (hill-international.com)