Sind Führungskräfte bereit die Extrameile zu gehen?

Eine aktuelle Studie des deutschen Wirtschaftsmagazins „Handelsblatt“ zeigt, dass unter 2.400 befragten Führungskräften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Bereitschaft für die Karriere alles zu opfern nicht mehr vorherrscht. Stattdessen steht jetzt die persönliche Work-Life-Balance für viele an oberster Stelle.

Wir haben mit HILL-Personalprofi Markus Mülleder über die aktuellen Umstände in Oberösterreich diskutiert und im spannenden Job-Talk erfahren, wie Führungskräfte aus der Industrie Themen wie Familie, Privatleben und Karriere heutzutage bevorzugt miteinander verbinden.

Herr Mülleder, wochenweise Pendelei für den Job, ein Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land – immer weniger Führungskräfte sind dazu bereit. Wie sehen diesbezüglich Ihre Erfahrungen in Oberösterreich aus? Können Sie das bestätigen?
Ja, auch wir haben in letzter Zeit die Erfahrung gemacht, dass Führungskräfte – und generell Mitarbeiter*innen auf allen Ebenen – nicht mehr bereit sind für den nächsten Karriereschritt oder ein Jobangebot alles in Kauf zu nehmen. Die Kandidat*innen wiegen bei der Entscheidung für oder gegen einen Job alle Parameter bewusst ab. Die Bereitschaft für den Job wochenweise zu pendeln ist heutzutage viel geringer. Viele suchen eine Stelle in der nahen Umgebung und möchten möglichst wenig Zeit auf der Arbeitsstrecke lassen. Bis zu 45 km bzw. 45 min. Fahrzeit wird akzeptiert, weiter möchten die meisten nicht fahren, wenn es nicht unbedingt sein muss.
Aber nicht nur das Pendeln ist ein Thema. Unsere Suche nach Vertriebsprofis mit Reisetätigkeit bestätigt: Die Österreicher werden weniger mobil. Der Anteil der Reisetätigkeit wird bis zu 30 Prozent akzeptiert, alles darüber hinaus wird schwierig. Auch Kandidat*innen aus dem Ausland werden weniger, da sich die Unterschiede bezüglich Lebensstandards und beruflicher Möglichkeiten immer weiter angleichen.
Alles für Job und Karriere zu machen gerät somit immer weiter in den Hintergrund. Anders denken hier die OÖ Industriebetriebe, die doch noch etwas traditioneller agieren. Sie möchten für einen attraktiven Job auch hundertprozentiges Interesse und vollen Einsatz der Kandidat*innen sehen. Diesen Spagat zwischen unterschiedlichen Erwartungen zu schließen ist auch für uns bei HILL eine große Herausforderung.

Wie sieht es mit dem persönlichen Einsatz aus? Wie viel sind aufstrebende Top-Leute bereit für einen besseren Job bzw. den nächsten Karriereschritt zu tun?
Es kommt dabei natürlich auf den Bereich und die Branche an, aber es lässt sich feststellen, dass die Kandidat*innen generell mehr Zeit für Familie und Hobbys haben wollen. Besonders bei den aufstrebenden Führungskräften zwischen 30 und 45, die oftmals Familie haben, sehen wir eine klare Änderung der Prioritäten in Richtung Privatleben. Das Gehalt ist für viele dabei auch zweitrangig im Vergleich dazu, ob die Aufgabe erfüllend ist und ob genug Zeit fürs Privatleben bleibt. Wenn sich Kandidat*innen für internationale Stellen oder Pendler-Jobs entscheiden, dann oft nur für zwei bis drei Jahre, danach schauen sie sich wieder nach neuen lokalen Möglichkeiten um.
Nach wie vor gibt es aber natürlich Einzelfälle, die dem Trend widersprechen und die Karriere als ultimatives Ziel sehen. Dann ist die Bereitschaft für die Karriere alles zu tun natürlich gegeben.

Die Work-Life-Balance ist also auch unter Top-Führungskräften wichtiger als die Karriere?
Oh ja, das ist bereits sehr oft der Fall. Auch viele erfahrene Manager*innen suchen nach Aufgaben, die Spaß machen, aber nicht unbedingt 60-Stunden-Wochenmit sich bringen.

Das sinnstiftende Arbeiten ist also für viele bereits ein wichtiger Faktor in der Job-Entscheidung …
Ein Großteil der Kandidat*innen ist nur dann bereit Kompromisse einzugehen, wenn die Aufgabe spannend und sinnstiftend ist. Für Personalisten und Recruiter sind derartige  Präferenzen und Bedürfnisse natürlich schwerer fassbar und stellen damit jeden HR-Verantwortlichen vor neue Herausforderungen.

Wie sieht hier der Unterschied zwischen den Altersgruppen aus? Sind junge Arbeitnehmer*innen heutzutage wählerischer?
Ja, das ist definitiv der Fall. Mehr Flexibilität sehen wir in der Altersgruppe 50+. Die Kandidat*innen, die sich in diesem Alter beruflich verändern möchten, sind dafür durchaus bereit Kompromisse einzugehen. Sie haben meist große Kinder und können sich daher wieder konzentrierter ihrer Karriere widmen.

Oft wird das Schlagwort Arbeitnehmermarkt bemüht – soll heißen, dass qualifizierte Arbeitnehmer*innen zunehmend die Bedingungen unter denen sie arbeiten möchten diktieren können. Ist das auch in Oberösterreich der Fall?
In manchen Branchen und Bereichen mag das sicher öfter der Fall sein. Die Industrie tickt hier aber anders und nimmt es in Kauf länger nach einem*einer passenden Kandidat*in zu suchen. Eine geregelte Homeoffice-Vereinbarung ist in der Industrie zum Beispiel nach wie vor eine Seltenheit. Manche Firmen sind eher bereit ein attraktiveres Gehaltspaket zu schnüren als Homeoffice anzubieten.

Welche Anreize muss ein Unternehmen also heutzutage bieten, um Top-Leute nach Oberösterreich zu holen bzw. um diese hier halten zu können?
Ein interessanter Job muss für Top-Führungskräfte neben einer spannenden Aufgabe vor allem Gestaltungsspielraum bieten. Der Verantwortungsbereich ist dabei ebenso wichtig wie flexible Arbeitszeiten oder die Nähe zum Wohnort. Ein großzügig geschnürtes Gehaltspaket (über dem Marktbenchmark hinaus) sowie das gute Miteinander wird vorausgesetzt – ein kooperativer, integrativer Führungsstil bevorzugt.

Wie passen die geänderten Erwartungen der Arbeitnehmer*innen mit der Arbeitsrealität in der heimischen Industrie zusammen? Können die heimischen Unternehmen diese Erwartungen überhaupt erfüllen?
Es ist bestimmt möglich, dass sowohl die Kandidat*innen als auch die Unternehmen eine gemeinsame Basis finden. Es erfordert aber Offenheit auf beiden Seiten. Die heimischen Industriebetriebe müssen akzeptieren, dass sich die Erwartungen der Kandidat*innen geändert haben. Wenn sie nicht bieten können oder wollen, was die Kandidat*innen erwarten, laufen sie Gefahr, dass sie in Zukunft ein Personalproblem haben werden – und das in Zeiten, in denen qualifizierte Bewerber*innen ohnehin Mangelware sind. Doch nicht nur die Betriebe müssen sich anpassen, auch die Kandidat*innen brauchen etwas mehr Kompromissbereitschaft, Demut und wirtschaftliches Verständnis. Denn nicht alles ist für jedes Unternehmen wirtschaftlich trag- und vor allem machbar.

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