Diese Fehler machen Recruiter in Bewerbungsinterviews

Je mehr Bewerbungsinterviews man als Personaler, Recruiter oder Entscheider in seiner Karriere mit potenziellen Kandidat*innen geführt hat, desto routinierter wird man. Doch Erfahrung alleine verhindert nicht, dass man in der Bewertung der Kandidat*innen oder auch im Aufbau des Interviews selbst immer wieder Fehler macht. Da diese leider oftmals zu kostspieligen Fehlbesetzungen oder zumindest suboptimalen Entscheidungen führen, sollte man sich als Interviewer*in diese potenziellen Fallen immer wieder vor Augen führen.

Neugierig, wie die neun häufigsten Interviewfehler von Recruitern aus wirtschaftspsychologischer Sicht* aussehen und wie Sie sich dagegen wappnen können? Hier finden Sie die Antworten:

1. Unzureichende Informationsverarbeitung während der Gesprächsführung
Es liegt in der menschlichen Natur irgendwann an die Grenzen der eigenen Konzentrationsleistung zu stoßen. Eine gründliche Vorbereitung hilft dabei kognitive Ressourcen zu schaffen, um im Gespräch Detail-Information aufnehmen und zwischen den Zeilen lesen zu können. Dazu gehört auch eine ordentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des CVs des*der Kandidat*in – besonders dann, wenn das Telefoninterview bereits einige Tage zurückliegt.

2. Unstrukturierte Interviews
Wissenschaftliche Studien* zeigen, dass strukturierte Bewerbungsgespräche zu deutlichen besseren Entscheidungen führen als improvisierte. Dies heißt nicht, dass es nicht immer wieder auch einmal sinnvoll sein kann von der geplanten Struktur abzuweichen. Allerdings ist es essentiell sich im Vorfeld intensiv Gedanken darüber zu machen, wie man am besten zu den wesentlichen Informationen kommt, um sowohl die fachliche als auch persönliche Passung optimal beurteilen zu können.

3. Intervieweindrücke ungerechtfertigt generalisiert
Um die Komplexität unserer Lebensrealitäten einfacher verarbeiten zu können, ist unser menschliches Gehirn darauf programmiert in Stereotypen und Allgemeingültigkeiten zu denken. Daher gilt es darauf zu achten, dass man von einer Formulierung oder einer Anekdote nicht gleich auf die ganze Persönlichkeitsstruktur des*der Kandidat*in schließt.

4. Selektive Wahrnehmung: Nur Informationen die das eigene Bild bestätigen werden wahrgenommen
Hierbei handelt es sich um ein ähnliches Phänomen – nämlich den Versuch ein konsistentes Bild, welches man für sich entwickelt hat, aufrechtzuerhalten. Hat man einmal eine Hypothese erstellt, fokussiert sich das menschliche Gehirn auf Aspekte die diese stützen, während potenzielle Widersprüche in der Wahrnehmung gleichzeitig vernachlässigt werden. Es gilt also auch das eigene Bild über den*die Kandidat*in während des gesamten Interviews stets kritisch zu hinterfragen.

5. Ungünstige Informationen werden stärker gewichtet als günstige
Da man bemüht ist den*die beste*n Kandidat*in zu selektieren, ist eine kritische Einstellung grundsätzlich keine schlechte Ausgangsstrategie. Da es den 100%-Match jedoch nicht gibt, ist es hier wichtig auch die günstigen Elemente nicht zu vernachlässigen. Beispielsweise können fachliche Defizite mit Motivation und persönlicher Klasse besser aufgewogen werden, als umgekehrt.

6. Einfluss durch die Einstellungen (wie z.B. Vorlieben oder Abneigungen) des Interviewers
Dass Sympathie eine wesentliche Rolle in unserem menschlichen Verhalten spielt, ist keine Überraschung. Dennoch gilt es hier aufzupassen. Wenn ein*e Kandidat*in die gleichen Interessen hat, kann es schnell passieren, dass man diesem wohlwollender entgegentritt. Selbiges kann natürlich auch in die andere Richtung gehen.

7.Phänomen des ersten Eindrucks – Urteil wird zu frühem Zeitpunkt getroffen
Das menschliche Gehirn benötigt lediglich eine Zehntelsekunde, um sich ein Urteil über eine noch unbekannte Person zu bilden. Wenngleich die psychologische Forschung zeigen konnte, dass dieser Eindruck nicht immer ganz falsch ist, sollte man mit vorschnellen Kategorisierungen aufpassen. Nicht alles lässt sich beispielsweise bereits aus dem Händedruck ableiten.

8. Primacy- und Recency-Effekte – Überbetonung der ersten bzw. letzten Information
Diese Aufmerksamkeitseffekte beschreiben unsere Tendenz, Informationen, die wir ganz am Anfang bzw. ganz am Ende sammeln, oftmals übermäßig stark ins Gewicht fallen zu lassen. So kann beispielsweise ein holpriger Start oftmals nur schwer korrigiert werden oder eine Formulierung zum Abschluss den Eindruck aus dem Gespräch überverhältnismäßig positiv oder negativ einfärben. Auch hier gilt es also darauf zu achten, dass diese Impressionen die deutlich verlässlicheren Eindrücke aus dem Hauptteil des Interviews nicht überschreiben.

9. Kontrasteffekte – Überbetonung der Unterschiede zu den vorherigen Interviews
Werden mehrere Interviews hintereinander geführt, gilt es darauf zu achten, die Fähigkeiten der Bewerber*innen nicht ausschließlich an dem vorangegangen Interview zu beurteilen. Dieser intuitive Vergleich kann trügen, denn einem*einer Kandidat*in kann auf diese Weise eine Stärke oder Schwäche ungerechtfertigt zugeschrieben werden, wenn er sich in diesem Punkt stark von dem*der vorangegangenen Kandidat*in abhebt. Bei mehreren Interviews in Serie eignet sich daher der Einsatz eines möglichst objektiven und vorab definierten Bewertungsschlüssels.

Auch bei noch so wachsamer Vorgehensweise ist es nicht immer möglich all diesen potenziellen Fehlerquellen zu entgehen. Wie man sich daher sonst noch gegen diese wappnen kann? Abhilfen können das 4 Augen-Prinzip, ein mehrstufiger Bewerbungsprozess mit zumindest zwei persönlichen Gesprächen, die Zuhilfenahme der Einschätzung eines*einer Expert*in, der Einsatz von Assessment Centern oder auch von Potentialanalysen  sein. Letztere sind zwar kein Ersatz für persönliche Interviews, dienen aber als zusätzliches Tool, um Verhaltensmuster und Wertelandschaften der Kandidaten besser herauszufiltern und verstehen zu können.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem nächsten Interview!

*vgl. u.a. Westhoff (Hrsg.) 2009. Das Entscheidungsorientierte Gespräch (EOG) als Eignungsinterview.

Mag. Thomas Webersdorfer, BSc MSc, Wirtschaftspsychologe
Wirtschaftspsychologe

Der Lösung ist es egal, wie das Problem entstanden ist.