Betrachtet man die aktuelle Zeit, so ist diese stark von Ungewissheit, Unsicherheit und Unklarheit geprägt. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren einer globalen Pandemie verstärkt. Komfortzonen und gewohnte Umgebungen mussten verlassen werden und neue Herausforderungen im Alltag traten hervor. Der Paradigmenwechsel einer klassischen Arbeitswelt beim Arbeitgeber vor Ort, zu einer hybriden Arbeitswelt intensivierte sich in kürzester Zeit. In einer stetig leistungsorientierten Organisation sind durch neue Herausforderungen auch neue Anforderungen entstanden. Die digitale Transformation mit ihren multiplen Komponenten für Organisationen und Individuen kann nicht nur als Treiber des Wandels, sondern auch als ein Lösungsansatz betrachtet werde (Geramanis & Hermann, 2016).

 

Kommentar aus der Praxis

Carola Scheffel, Geschäftsführerin von HILL International Deutschland, spiegelt im Kurzinterview die Marktsituation wie folgt:

 

Frau Scheffel, wie nehmen Sie aktuell die Situation bei Arbeitgebern wahr? Wird das hybride Arbeitsmodell bereits erfolgreich von allen Unternehmen umgesetzt?

Natürlich gibt es nicht nur das eine Modell, welches von allen Organisationen umgesetzt werden kann. Kleine Mittelstandsunternehmen besitzen andere Anforderungen als ein großer Konzern. Es gibt große, wie auch kleine Strukturen, in welchen das Arbeiten aus dem Homeoffice bereits zu 100% umgesetzt wird. Die Branche spielt zudem noch eine weitere große Rolle. Besonders in Produktionsunternehmen müssen die gewerblichen Mitarbeiter vor Ort arbeiten. Eine Etablierung des hybriden Modells kann nicht in allen Bereichen des Unternehmens eingeführt werden. In einer Produktion könnten nur sehr vereinzelt Teamleiter Aufgaben aus dem Homeoffice heraus erledigen. Dies würde jedoch ein sehr selbstständiges Arbeiten der Teammitarbeiter voraussetzen. Doch wenn dies nicht gegeben ist und spontane Probleme in der Produktion auftauchen, könnte es zu Konflikten kommen. Es ist notwendig mehrere Aspekte einer Organisation zu betrachten, die Lösungsszenarien haben viele Farbvarianten.

 

In Ihrer Aufgabe als Personalberaterin erleben Sie täglich die Anforderungen und Bedürfnisse der Bewerber, die sich für neue Positionen interessieren. Wie präsent ist das Thema hybrider Arbeitskontext für Arbeitnehmer?

Meist sind die ersten drei Fragen eines Vorstellungsinterviews: „Wo befindet sich der Arbeitgeber“ „Wie sieht das Arbeitszeitmodell aus?“ und „Wie gestalten Sie die Remotearbeit?“ Es ist sehr präsent, relevant und oftmals auch entscheidungskritisch für die meisten Bewerber. Die Gründe, warum Menschen im Homeoffice arbeiten möchten, können sich hingegen sehr unterscheiden. Familie, Haustiere und die Anpassung an den individuellen Biorhythmus sind nur ein paar Punkte. Andererseits gibt es auch Menschen, die bevorzugt beim Arbeitgeber vor Ort sein wollen. Die Anfahrt zum Arbeitgeber kann am Morgen zum mentalen Einstellen auf den Arbeitstag dienen und der Heimweg kann beim Abschalten nach der Arbeit helfen. Sowohl die Arbeit im Homeoffice als auch die Arbeit beim Arbeitgeber vor Ort bringen Vor- und Nachteile mit.

 

Können Sie uns diese Vor- und Nachteile noch näher beschreiben?

Ein klarer Vorteil im Homeoffice zu arbeiten, ist die größere Flexibilität und gefühlt höhere Selbstbestimmtheit. Arbeitnehmer glauben, einen höheren Grad an Freiheiten zu genießen. Dies könnte sich beispielsweise in einem angepassten Schlafrhythmus oder der vereinfachten Betreuung von Kindern zeigen. Somit können diese Menschen ihre individuelle Work-Life-Balance selbst gestalten. Die erweiterte Selbstbestimmtheit bringt auch neue Herausforderungen mit. Die klassische Kaffeepause mit den Kollegen gibt es in dem Ausmaß nicht mehr. Dadurch fehlen manchmal Informationen, die man zufällig erhalten hätte.  Es gilt Barrieren zu überwinden, um alle relevanten Informationen mitzuteilen. Allein dies setzt eine fokussierte und strukturierte Priorisierung voraus. Menschen im Homeoffice werden mehr mit ihrer Frustration allein gelassen und nicht jede Familie kann und will das Auffangen.

 

Wie können Führungskräfte ihre Mitarbeiter bei den neuen Herausforderungen im Homeoffice unterstützen?

Eine Grundvoraussetzung ist die IT-Landschaft, aber eine „one-fits-all“ Lösung wird es nicht geben. Mitarbeiter müssen in den neuen Hard- und Software-Systemen geschult werden. Der wichtigste Punkt ist aber die richtige Führung des/der Vorgesetzten. Sie sollten ihre Mitarbeiter noch mehr als früher dort abholen, wo sie stehen und sie zu einem selbstständigen Arbeiten ermutigen. Dies bedeutet konkret z.B. regelmäßigere Meetings, herausfordernde Ziele setzen, die erreichbar sind, sowie die Erreichung von Teilzielen bzw. Meilensteinen würdigen. Es gilt seine Mitarbeiter nicht aus den Augen zu verlieren, ohne sie dabei zu bedrängen. Eine Voraussetzung ist, dass die Mitarbeiter im Homeoffice ihren Berufsalltag selbst strukturieren und priorisieren können. Falls dies nicht der Fall ist, sollten gezielte Schulungen erfolgen. Führungskräfte sollten Erfolge wie auch Misserfolge mit ihren Mitarbeitern teilen.

Danke Frau Scheffel, für diese spannenden Einblicke.

 

 

Aktuelle Forschung

In Zusammenarbeit mit der Justus-Maximilians-Universität Würzburg ergab sich die folgende Fragestellung:

Wie beeinflusst die Zielerreichung im Homeoffice die Erholung nach der Arbeit und gibt es hierbei Unterschiede zu Bürotagen?

Für die Beantwortung der Fragestellung wurde eine Tagebuchstudie über einen Zeitraum von 2 Wochen durchgeführt. Es konnte zwischen Anfang November und Ende Dezember an der Studie teilgenommen werden. Teilnahmebedingungen waren das Arbeiten von über 20 Stunden pro Woche sowie mindestens ein Tag Homeoffice pro Woche. An jedem Arbeitstag erhielten die Teilnehmer drei Fragebögen (vor Arbeitsbeginn, nach der Arbeit, vor dem Schlafen), um Veränderungen über den Tag nachvollziehen zu können. Die Studie wird statistisch (Multilevel Analyse) ausgewertet. Die Ergebnisse der Studie sind noch nicht bekannt.

Die Fragestellung beantwortet mehrere Teilfragen. Zum einen, welche Rolle die wahrgenommene Zielerreichung bei der Erholung nach der Arbeit einnimmt. Weithin werden die Unterschiede zwischen dem Arbeiten im Homeoffice und dem Arbeiten beim Arbeitgeber näher beleuchtet. Es sollen praktische Hinweise für Mitarbeiter und Führungskräfte abgeleitet werden, die in den beruflichen Alltag einfach integriert werden können. Die Erholung nach der Arbeit wird mit positiven Gefühlen und der Qualität des Schlafes überprüft. Positive Gefühle sind charakterisiert durch Empfindungen wie aktiv, stark oder erfreut (Sonnentag et al., 2008).

Auf Basis der bisherigen Forschung ist anzunehmen, dass Personen, die im Homeoffice arbeiten und ihre Aufgaben am Tag nicht abschließen können, sich schlechter erholen. Das Erledigen einer konkreten Aufgabe soll dem mentalen Abschalten dienen und das Grübeln über die Arbeit vermeiden. Denkt ein Mensch nach Feierabend nicht mehr über seine Arbeit nach, so kann er eher positivere Gefühle entwickeln, besser schlafen und sich entsprechend gut erholen. Sollten die Studienergebnisse die beschriebenen Annahmen unterstützen (Sonnentag et al., 2022), wäre folgende praktischen Hinweise ableitbar.

Führungskräfte könnten anfangen sich folgende Fragen stellen: Wurden die Ziele meiner Mitarbeiter bereits umfassend definiert und schriftlich vereinbart? Wo wurde dies notiert? Kam die Information per Mail oder telefonisch oder gibt es bisher nur Chatverläufe zu diesem Thema? Sind die eventuell vor 6 Monaten vereinbarten Ziele heute – unter neuen Gegebenheiten – noch aktuell? Oder sollten sie nochmals gemeinsam angepasst werden?

Einer der Lösungsansätze wäre somit, die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter engmaschiger zu gestalten, damit die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter besser unterstützt werden könnten.

 

 

Geramanis, O., & Hermann, K. (2016). Führen in ungewissen Zeiten. In O. Geramanis & K. Hermann (Eds.), Führen in ungewissen Zeiten. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11227-1

Sonnentag, S., Binnewies, C., & Mojza, E. J. (2008). “Did You Have A Nice Evening?” A Day-Level Study on Recovery Experiences, Sleep, and Affect. 93, 674–684. https://doi.org/10.1037/0021-9010.93.3.674

Sonnentag, S., Cheng, B. H., & Parker, S. L. (2022). Recovery from Work: Advancing the Field Toward the Future. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 9, 33–60. https://doi.org/10.1146/annurev-orgpsych-012420-091355

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