Die Bewerbungsunterlagen sind verschickt und hinterlassen einen guten Eindruck. Die Recruiter melden sich, doch die Antwort des Interessenten bleibt aus. Oder es geht sogar noch mehrere Stufen weiter: Die Interviews sind geführt, der Arbeitgeber freut sich auf das neue Teammitglied – doch plötzlich ist der Bewerber nicht mehr erreichbar. Nicht selten tritt Ghosting sogar nach Unterzeichnen des Arbeitsvertrags auf: Der neue Mitarbeiter erscheint dann einfach nicht zum ersten Arbeitstag.

Ghosting ist ein tragisches Phänomen des digitalen Zeitalters: Menschen tauchen ohne Erklärung unter. Sie reagieren nicht mehr auf Nachrichten oder blockieren sogar ihre Gesprächspartner auf allen relevanten Kanälen. Ghosting ist nicht nur im Privatleben ein Thema, sondern auch im Recruiting. Für Unternehmen ist es ärgerlich, wenn der Wunschkandidat sich plötzlich nicht mehr meldet, schließlich sind Zeit und Geld in den Recruiting-Prozess geflossen. Die Suche nach der neuen Besetzung muss von vorne beginnen, ohne die Beweggründe des Ghosters zu kennen. Was bleibt, ist neben dem Frust darüber auch die Frage, ob Fehler gemacht wurden, und die Sorge, dass die nächsten Kandidaten wieder untertauchen. Laut einer von Appinio für Indeed durchgeführten Umfrage aus dem Jahr 2022 geben 31,5 % von 400 Recruitern an, mindestens einmal im Monat von Bewerbern geghostet zu werden. Aber was sind die Gründe für die plötzliche Funkstille in der Berufswelt?

  • Schnelllebigkeit und Informationsflut: Kämpfen Bewerber mit Stress durch Informationsflut und einer endlosen To-Do-Liste, bleibt die Kommunikation mit dem Unternehmen links liegen und wird als Stressfaktor eliminiert.
  • Überangebot: Unternehmen müssen um Talente kämpfen, während diese meist mehrere Angebote auf dem Tisch haben. Die Zusage an ein Unternehmen führt zur stillen Absage an ein anderes.
  • Angst: Vor allem jüngere Bewerber haben bei Antritt eines Jobs ein mulmiges Bauchgefühl und fühlen sich der Herausforderung nicht gewachsen. Die Folge: Die Verbindungen zum Unternehmen als Auslöser der Angst werden gekappt.
  • Bequemlichkeit: Digitale statt persönlicher Kommunikation ermöglicht ständige Erreichbarkeit, kann aber umso leichter ignoriert werden. Die Blockier-Funktion tut ihr Übriges.
  • Konfrontationsangst: Vor allem spät im Recruiting-Prozess fürchten Bewerber Kritik und Vorwürfe des Unternehmens, weil sie die Stelle doch nicht antreten möchten. Also wird eine offizielle Absage unterlassen.
  • Eigene Erfahrungen mit Ghosting: Viele Bewerber sind Ghosting im Recruiting-Prozess gewohnt, da Unternehmen sich einfach nicht mehr melden. So ist es nicht verwunderlich, dass Bewerber selbst Ghosting praktizieren.
  • Unpersönlicher Auswahlprozess: Ein von Standardkommunikation geprägter Recruiting-Prozess gibt Bewerbern das Gefühl, nur eine Nummer zu sein und verstärkt den Eindruck von Unverbindlichkeit. Wird eine Zusage nicht als verbindlich wahrgenommen, ist die Folge oft Ghosting.

Dabei muss klargestellt werden: Ghosting kommt nicht nur bei jungen Bewerbern und beim Berufseinstieg vor, sondern in allen Altersklassen und Karrierestufen.

Taucht der Bewerber unter und ist nicht mehr erreichbar, können Unternehmen nicht mehr viel tun. Umso wichtiger ist es daher, schon früh eine möglichst persönliche Beziehung mit dem Bewerber zu pflegen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ist die Kommunikation von Standardmails geprägt und wird schnell deutlich, dass ein Kandidat nur einer von vielen im Bewerberpool ist, die nach Hard Facts ausgesiebt werden, fühlt der Bewerber weniger Verantwortung gegenüber dem potenziellen Arbeitgeber. „Was macht es schon, wenn ich jetzt raus bin? Man wird mich ganz einfach ersetzen“ können Gedanken sein, die Ghoster in diesem Zusammenhang haben. Fühlt der Bewerber sich als Individuum wahrgenommen und hatte engeren Kontakt zur HR-Abteilung und zu Mitgliedern im neuen Team, fällt es schwerer, einfach unterzutauchen. Wird schon im Recruiting-Prozess so gut es geht eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen, ist der Kandidat weniger dazu geneigt, die neue Stelle nicht antreten zu wollen. Das Unternehmen sollte dem Bewerber zu jedem Zeitpunkt die gleiche Transparenz und Verbindlichkeit entgegenbringen, die es umgekehrt erwartet. So können Unternehmen dazu beitragen, dass sich vor dem ersten Arbeitstag Unsicherheiten und nicht der Kandidat in Luft auflösen.